von 183:913977045
•
10 Juli, 2023
"Kann jetzt hier mal bitte jemand die Verantwortung übernehmen und endlich mutige Entscheidungen treffen?” Was für eine Frage…und zu Recht! Glaubt man Franz, dem CEO der Hamsterrad GmbH. Mit fünfzigjähriger Tradition, in den 70er Jahren als Familienbetrieb gegründet, hat sich die Hamsterrad GmbH mit Firmenzentrale in Willingen an der Muss zu einem beträchtlichen Unternehmen entwickelt. Mit 10 Manufakturen in ganz Deutschland und ca. 1600 Mitarbeitenden (Tendenz wachsend) ist das Unternehmen europäischer Marktführer für Kleintierbedarfe. Doch das Geschäft verändert sich massiv. Dem wird gerecht, dass Franz nach Jahren an seinen Heimatort zurückkehrt und vor drei Jahren als CEO bei der Hamsterrad GmbH einsteigt. Franz ist 38 und hat das, was man weitläufig unter einem nicht linearen Lebenslauf versteht. Für keine Branche war Franz sich zu fein, Auslandserfahrung hat er zur Genüge, kennt Start ups sowie Traditionsbetriebe und hat in längeren, meditativen Auszeiten gefunden, was er wirklich, wirklich will. Von unten bis ganz oben hat er sein Können unter Beweis gestellt. Er ist Inbegriff aus Innovation ( “Das muss doch auch anders gehen! ” ) und Tradition ( “Bewährtes hat Sinn und Zweck! ” ). In seiner Rolle als Unternehmer gehört es für Franz dazu, sich immer wieder zu vernetzen und sich von neuen Impulsen inspirieren zu lassen. Aktuell sind es die Themen New Work und New Leadership, die ihm Hinweise versprechen, wie er die Hamsterrad GmbH zukünftig gut aufstellen kann. Neulich ist er Gast bei einem C-Level Agile Network Breakfast und hört einen Impuls zu Intrapreneurship. Das ist es, was er in seinem Unternehmen braucht! Als er mit dem Fahrrad in die Firmenzentrale zurückfährt, denkt er an das letzte Meeting mit den Geschäftsleiter:innen zurück. Ewige Diskussionen, aber keine mutigen Entscheidungen. Aber er ist doch wirklich bereit, dass nicht allein die Geschäftsleitung alle Entscheidungen trifft. Wo ist also diese ominöse echte Verantwortungsübernahme? Was für ein schweres Wort, das eignet sich doch glatt für Galgenraten! Auf Metaebene kann eine erste Unterscheidung hilfreich sein: Verantwortung qua Rolle oder Verantwortung qua Gefühl? Jeder Mensch nimmt unterschiedliche Rollen ein und ja, damit geht Verantwortung einher. Ob als Elternteil die Verantwortung für ein Kind übernehmen oder als Product Owner für ein Projekt: das ist sicher völlig unterschiedlich. Aber: Die mit der Rolle verbundene Verantwortung ist aus verschiedenen selbst- und/oder fremdbestimmten Aspekten schwer zu ignorieren. Im Unterschied dazu kommt die gefühlte Verantwortung, die Menschen gegenüber Themen, Projekten, Menschen übernehmen. Hier grüßt ein positives Menschenbild (Menschen können und wollen wirksam sein) sowie Glaubenssätze und Muster, nach denen Menschen ganz individuell handeln und entscheiden. Und ja, es ist verständlich, dass diese "Verantwortungsübernahme" ein hohes Gut in Unternehmen ist. So auch in der Hamsterrad GmbH. Die Gründe dafür sind vielfältig: Mehrere Jahre bestimmte die Bundesdeutsche Richtlinie für Hamsterräder zur artgerechten Kleintierhaltung das Geschäft der Hamsterrad GmbH. Doch das Geschäftsmodell wandelt sich seit den 90er Jahren mit der Abschaffung der Richtlinie. Märkte öffnen sich. Die wachsende Komplexität ist weder für das Unternehmen noch für Franz ignorierbar. Technisierung vs. Individualisierung, ein steigender Gebrauchtwarenmarkt an Kleintierbedarf, die Zunahme von Tierwohllabeln sowie die Artenvielfalt beeinflussen nicht nur den Bedarf der Kunden. Auch die Kontaktpunkte, an denen ein gesteigertes Kaufinteresse für Kleintierbedarf entsteht, sind maximal vielfältig geworden. Und hier wird es spannend. Franz denkt an das Meeting zurück und hat das Gefühl, dass die Verantwortung wie ein rohes Ei durch die Luft geworfen wird. Ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns gemeinsam vor, eine Person aus der Runde der Geschäftsleiter:innen steht in einem 1m² Separé, über dem ein rohes Ei droht zu zerbrechen. Ein:e weitere:r Geschäftsleiter:in muss sich neben das Separé stellen und erhält die Verantwortung dafür, dass das rohe Ei in der Luft bleibt und nicht zerbricht. Einzige Regel, die Person darf das Separé nicht betreten und das Ei auch nicht anfassen. Was für eine Ausgangslage! Es lohnt sich für Franz, konkret auf den jeweiligen Kontext einer scheinbar nicht erfolgten Verantwortungsübernahme zu schauen. Liegen Befugnis und Verantwortung bei den gleichen Personen? Kann Verantwortung gemeinsam getragen werden? Das Bild ändert sich radikal, wenn plötzlich beide Geschäftsleiter:innen die Verantwortung für das rohe Ei innehaben! Es kommt wirklich auf den Kontext an! Diffuse Verantwortung, strenge Zielvorgaben, lose Befugnisse können Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung verhindern! Könnte Franz diese Überlegungen hören, dann wäre die Feststellung gestattet: “Trotzdem ist die Hamsterrad GmbH (noch) erfolgreich, noch geht es uns nicht schlecht. Wir sind Marktführer!” Ja, Franz! Und es ist sinnvoll über folgende Fragen nachzudenken: Wer entscheidet, wenn niemand entscheidet? Wer hält den Laden bei euch am Laufen (oder einen bestimmten Geschäftsbereich)? Wenn so richtig Not im Geschäft wäre - was tut ihr dann in der Hamsterrad GmbH? Verantwortungsübernahme geschieht dort, wo unternehmerische Probleme existieren. Ungeahnt und auch unentdeckt. Ach und dann war ja noch der Punkt, dass Verantwortungsübernahme “mutige” Entscheidungen ermöglicht. Oh Franz, was ist denn mutig? Ist es beispielsweise mutig, mit einem Bungeeseil von der Bloukrans Bridge in Südafrika (216m) zu springen? "Ja" , sagst du als Leser mit wackeligen Beinen in großer Höhe und ohne Bungeeerfahrung. Franz würde sagen: “Als ich damals das erste Mal in Costa Rica gesprungen bin, war das aufregend. Heute kann ich nicht mehr ohne! Mutig? Ich würde sagen “Nein!”, denn mein Hobby sind Bungeesprungmeisterschaften in Südafrika an der Bloukrans Bridge!” Aufgepasst! Wieder kommt es auf den Kontext an. Was interpretiert ein Individuum in den Begriff “Mutig sein”? Was bedeutet “Mut” im Kontext einer konkreten unternehmerischen Entscheidung? Kann “nicht mutig sein” einen Sinn haben (z.B. bei der effizienten Sicherstellung des Betriebs in den Manufakturen?) Fragen über Fragen - Erkenntnisgewinn garantiert! Denn wie immer kommt es darauf an - auf Kontext und Struktur!